Die besten Sachen passieren, wenn du die Kontrolle abgibst.

Vor kurzem trudelte eine sehr schöne Nachricht in mein Instagrampostfach. Sie schrieb mit etwas wie, „Klara, ich war im Herbst bei deiner Yoga-Stunde und sie hat mir sehr gut gefallen. Später habe ich dich durch Zufall auf Instagram gefunden und bin dir dort gefolgt. Allerdings musste ich dir nach kurzer Zeit wieder entfolgen, weil du mir zu verbissen vorgekommen bist und ich diese Vibes nicht bei mir im Feed haben wollte. Jetzt habe ich dein 90-Tage-Projekt verfolgt und ich finde es toll, wie du dich geändert hast und ich folge dir wieder sehr gerne. (PS: Das ist alles nicht böse gemeint).“

Zunächst mal: Autsch. Zum zweiten: Ich erhalte gerne reflektierte Nachrichten. Auch, wenn man natürlich im ersten Moment nicht hören will, dass man verbissen wirkt, so war die Nachricht nicht böse oder unachtsam geschrieben. Ein konstruktives Feedback nehme ich gerne an.

Vor einigen Jahren war ich leider wirklich verbissen. Ja, das muss ich wohl oder übel zugeben. Ich hatte das Gefühl nicht gut genug zu sein und je mehr ich probierte „besser“ zu werden, desto mehr hatte ich das Gefühl, dass ich erst recht nicht gut genug bin. Je mehr ich versuchte „gut auszusehen“, desto unzufriedener wurde ich.

Im Herbst war dann mein Gefühlschaos wegen der Trennung Ende Sommer. Ich habe auch schon darüber geschrieben, dass ich da (unbewussst) meine Gefühle betäubte und so richtig gut ging es mir nicht. Kann also gut sein, dass ich verbissen wirkte, denn ich konnte mich (noch) nicht verletzlich zeigen, weil ich meine Emotionen nicht zuließ. Yoga hat mir sehr geholfen meine Mauern langsam abzubauen und wieder meinen Körper und somit meine Gefühle zu spüren. Im Herbst entdeckte ich dann Brené Brown und das Thema Verletzlichkeit lies mich nicht mehr los.

Warum schreibe ich das heute? Dazu kommen wir noch.

Es gibt eine Übung, die die Navy SEALS bei ihrem Militärtraining absolvieren müssen. Sie nennt sich „Drownproofing“. Es werden die Hände hinter dem Rücken verbunden, die Füße werden verbunden und dann schmeißen sie dich in einen knapp 3m tiefen Pool und du sollst da jetzt 5 Minuten aushalten (und überleben). Ach du sch***e.

Unser Urinstinkt, die Angst vor dem Ertrinken, wird jetzt bei den meisten einsetzen (oder ich würde mir jetzt in den Badeanzug machen). Der Sympathikus wird aktiv, man gerät in Panik, fängt an zu zappeln, kickt mit den Beinen, um sich irgendwie an der Oberfläche halten zu können. Wir haben früher beim Schwimmtraining oft eine Übung gemacht, wo du Delfinkicks (eine Art Welle durch den Körper) machst und deine Hände aus dem Wasser streckst. Ziel ist es den Kopf über Wasser zu halten, während der Rumpf und die Beine aktiv arbeiten. Jeder Schwimmer weiß: „Alter, ist das anstrengend!!“ und die Intervalle sind meistens nicht länger als 30 Sekunden.

Auch die NAVY Seals sind nur Menschen. Viele geraten in Panik. Viele müssen wieder aus dem Wasser geholt werden. Manche sind schon gestorben.

Die erste Lektion, um nicht sofort die Kraft zu verpuffern und zu überleben ist ein Paradox: Je verkrampfter du versuchst einen Kopf über Wasser zu halten, desto eher wirst du sinken.

Zum einen ist das Kicken fürchterlich anstrengend und zweitens kann man so nicht wirklich am Wasser treiben. Interessanterweise braucht es gerade für diese Übung keine besonderen Fähigkeiten, Kraft oder Ausdauer. Noch besser: du musst dafür nicht mal schwimmen können.

Anstatt gegen die Physik zu arbeiten, kann sie hier klug genützt werden. Der Trick ist folgender: Du lässt dich selbst absinken, bist du am Boden des Pools angekommen bist. Von da stoßt du dich leicht ab, um zur Oberfläche zu kommen. Hier kannst du kurz einatmen, um anschließend „in Ruhe“ wieder abzusinken.

Die zweite Lektion ist auch sehr wichtig (und ziemlich paradox): Je mehr Panik zu hast, umso aktiver wirst du deinen Körper bewegen. Das bedeutet allerdings auch, dass du mehr Sauerstoff verbrauchst, ohnmächtig werden kannst und ertrinkst. Bei dieser Übung arbeiten all deine Urinstinkte, die dich am Leben erhalten wollen, gegen dich. Je mehr du atmen willst, desto weniger Luft bekommst du. Je verbissener du überleben willst, desto eher wirst du sterben.

Hier geht es also weniger um körperliche Stärke, sondern um achtsame Selbstbeherschung in gefährlichen Situationen. Kann er seine Impulse in Extremsituationen kontrollieren? Kann er ruhig bleiben, wenn es um Leben oder Tod geht? Kann er sein Leben riskieren, um ein höhere Ziele zu erreichen?

Gerade diese Fertigkeit ist unglaublich wichtig. Wichtiger, als die körperliche Kraft. Wichtiger, als seine Ambition. Wichtiger, als seine Intelligenz, sein Aussehen oder welche Schule er besucht hat (oder wie er gut in einem italienischen Anzug aussieht).

Diese Fertigkeit – die Kontrolle abzugeben, wenn wir sie unbedingt behalten wollen – ist eine der wichtigsten Dinge, die wir erarbeiten können. Nicht nur für Seals. Für uns alle.

Wir letztens schon geschrieben, glauben wir oft, dass das Leben eine Checkliste ist. Gleichzeitig gibt es auch die Annahme, dass viele Dinge im Leben eine lineare Kurve haben. Quasi, wenn ich doppelt so viel Zeit in die Beziehung investiere, wird sich die Person doppelt so viel geliebt fühlen (und ich habe gerade keine Ahnung, ob dieser Satz grammatikalisch richtig formuliert wurde). Wenn ich doppelt so viel arbeite, werde ich noch bessere Resultate erzielen. Wenn ich lauter schreibe, habe ich noch mehr recht.

Ganz so einfach ist es nicht. Möglicherweise hast du dich mal extra angestrengt, um eine Person von dir zu überzeugen, aber sie fühlte sich nur bedrängt. Whups. Und ich spreche aus Erfahrung, wenn ich sage, dass doppelt so viel Training nicht zu einen halb so dünnen Körper führt, sondern eher ins Übertraining und zu Verletzungen.

Dieses Prinzip gilt nur für gedankenlose, sich wiederholende, einfache Dinge. Auto fahren, endlich mal aufräumen, einfachen Papierkram erledigen – je länger ich damit beschäftigt bin, desto mehr schaffe ich. Aber das gleiche gilt nicht für Dinge, die kompliziert und emotionale, kognitive oder mentale Anstrenung erfordern.

Auch Studien zum Thema Produktivität bestätigen dies und zeigen, dass wir eigentlich nur wirklich 4-5 Stunden konzentriert und effizient arbeiten. Gleich wie die unzähligen Lernstunden vor der Prüfung, wenn du noch mitten in der Nacht versuchst was im Kurzzeitgedächtnis zu speichern. Ein erholsamer Schlaf, Bewegung und effektive Lernstrategien helfen mehr, als stundenlanges, passives durchlesen.

Mehr ist nicht immer besser.

Eine vertrauenswürdige Freundschaft zu haben, ist wertvoll und wichtig. Zwei Freunde zu haben, ist auch toll. Aber 10 statt 9 zu haben, ändert nicht viel und 21 statt 20 zu haben, macht den Freizeitstress nur größer.

Dann gibt es noch das „Rückwärts-Gesetz“ (orig. „Backwards law“) vom Philosopher Alan Watts. Sprich, deine Anstrengung und dein Resulat haben eine negative Korrelation. Je mehr Anstrengung & Arbeit du investierst, desto schlechter wird das Resultat. Also wie beim Drownproofing: Je weniger sich der Kanditat anstrengt, desto eher wird er überleben und somit erfolgreich sein.

Gut, wir kommen schon langsam zu dem, worauf ich hinaus will.

Anstrengung und Resultat haben eine lineare Beziehung, wenn die Aufgabe einfach ist.
Anstrengung und Resultat haben eine geringere Belohnung, wenn die Aufgabe komplex und varrierend ist.

Und wenn die Handlung hauptsächlich psychologischer Gestalt ist – eine Erfahrung, die nur in unserem Bewusstsein stattfindet – dann heißt es „Kontrolle abgeben“. Alan Watts sagt, dass je krampfhafter du versuchst glücklich zu sein, desto eher hält dich diese emotionale Kontrolle davon ab. Diese Gedanken sind nicht neu und stammen schon aus dem Zen-Buddhismus.

Je stärker wir uns Freiheit wünschen, desto eher fühlen wir uns gefangen.
Je stärker das Bedürfnis nach Liebe und Akzeptanz ist, desto eher fühlen wir uns alleine und hindern uns selbst daran uns zu aktzeptieren.

Du bist keine Marionette. Gib die Kontrolle ab.

„Der Wunsch nach einem glücklicheren Leben, nach schöneren Erfahrungen, ist selbst eine negative Erfahrung. Zu akzeptieren, dass negative Erfahrungen dazugehören, ist eine positive Erfahrung.“ – Mark Manson

Hier kommen weitere Beispiele:

  • Kontrolle: Je mehr wir versuchen unsere Gefühle & Impulse zu kontrollieren, desto angespannter werden wir uns fühlen. Unsere Gefühle kommen und gehen und der Wunsch nach Kontrolle macht es nur schlimmer. Genau das erklärt meine Verbissenheit aus der Einleitung. Erst, als ich im Jänner dann meine Gefühle, meine Trauer und mein Chaos akzeptiert habe, verletzlich war (siehe Beitrag Tag 1), hat sich mehr und mehr in mir gelöst.
  • Glücklich sein: Ständig zu versuchen „perfekt“ zu sein, krampfhaft optimistisch zu bleiben oder mit einem falschen Lächeln durch die Gegend zu laufen, macht nur noch unglücklicher. Glückliche Menschen sind die, die akzeptieren, dass unschöne Gefühle zum Leben gehören.
  • Sicherheit: Je sicherer wir uns fühlen wollen, desto mehr Unsicherheit verspüren wir. Die einizige Konstante im Leben ist die Veränderung. Je besser wir mit der Unsicherheit zurecht kommen, desto besser wird es uns gehen.
  • Liebe: Je verzweifelter wir versuchen es allen recht zu machen, um somit geliebt zu werden, desto ungeliebter fühlen wir uns.
  • Respekt: Je mehr Respekt wir wollen, desto weniger Respekt bekommen wir (wer kennt sie nicht, die Typen, die sich immer so aufspielen müssen?). Und dann gibt es Lehrer, die kommen in die Klasse, sagen einen Satz – ohne große Anstrengung – und du weißt sofort, „Okay, hier bin ich brav.“
  • Vertrauen: Je mehr Vertrauen du schenkst, desto mehr Vertrauen wirst du zurückbekommen.
  • Selbstbewusstsein: Je mehr du deine eigenen Fehler, Schwächen und unterschiedlichen, authentischen Facetten akzeptierst, desto selbstbewusster wirst du dich fühlen.
  • Veränderung: Je krampfhafter wir versuchen uns zu verändern, desto eher werden wir das Gefühl haben, wir sind niemals gut genug. Je mehr wir uns selbst akzeptieren, desto mehr werden wir persönlich wachsen und uns weiterentwickeln.

Die besten Dinge passieren, wenn du die Kontrolle abgibst. Im Herbst versuchte ich meine Gefühle zu kontrollieren, brav ein Lächeln aufzusetzen, aber so hat der Kochtopf nur zu brodeln angefangen, bis er schlussendlich explodiert ist.

Wir erreichen die Oberfläche erst, indem wir uns zuerst sinken lassen.

Und wie geht das konkret?

Loslassen.

Uns geschlagen geben.

Achtsam sein.

Mutig sein.

Verletzlichkeit ist etwas, was wir alle immer wieder spüren, wenn wir entblößt sind, ein Risiko eingehen und ein Gefühl von Unsicherheit haben. Obwohl wir das alle immer wieder spüren, so gibt es viele Mythen rundum Verletzlichkeit. Wir glauben, dass andere uns als „schwach“ wahrnehmen. Erfahrungen, die uns verletzlich fühlen lassen, wie einen Job zu verlieren, eine Trennung durchzumachen oder etwas Neues zu starten, bringen auch Gefühle wie eine innere Unruhe, Unsicherheit und einen Wunsch nach Selbstschutz hervor. Doch es gibt keine empirischen Belege, die zeigen, dass Verletzlichkeit mit Schwäche assoziiert wird. Das Gegenteil trifft zu: Mutige Handlungen sind unmöglich, wenn du nicht verletzlich bist.

Wenn wir akzeptieren, dass wir nicht alles kontrollieren können..

Wenn wir akzeptieren, dass wir alle nur Menschen sind..

Wenn wir akzeptieren, dass wir es unmöglich allen recht machen können..

Wenn wir akzeptieren, dass wir Fehler machen..

Dann gibst du dich ehrenvoll geschlagen.

Dann machst du dich bereit für die wahre Veränderung.

Und die, meine Freunde, ist wundervoll und öffnent Türen und Möglichkeiten, die wir uns nie erträumt hätten.