30 Tage ohne Instagram. Digitaler Instagram Detox.

Was machst du heute, was dein 10-jähriges Ich zum Weinen bringen würde? 

Schon in meiner Kindheit habe ich viel geschrieben. Ich fand mal ein altes Tagebuch (sogar mit Schloss, damit niemand den dramatischen Geheimnissen der kleinen Klara auf die Schliche kommt), was mich ziemlich zum Schmunzeln gebracht hat.

„Hallo Tagebuch, heute war ich reiten. Es war so toll. Lotti war ganz brav. Tschüss.“ und manchmal stand drinnen, „Hi Tagebuch, heute habe ich nichts gemacht. Das war so langweilig. Tschüss.“ – Zugegeben, der Inhalt war nicht weltbewegend und Rechtschreibung existierte für mich damals nicht. Doch ich schrieb, um zu schreiben. Ich schrieb, weil es mir Freude bereitete und nicht, um jemanden zu beeindrucken oder um es jemandem zu zeigen (deshalb auch das Schloss haha). 

In unserer Kindheit machen wir viele Dinge, die uns Freude bereiten. Wir machen sie, ohne einen bestimmten Grund dafür zu haben. Erst, wenn wir älter werden, wird es kategoriesiert in „sinnvoll“ und „lass das“. Meistens kategoriesieren wir nur etwas als „sinnvoll“, wenn es dafür eine Belohnung gibt und wir uns dabei nicht blamieren können.

Wenn mein 10-jähriges Ich mein 26-jähriges Ich gefragt hätte, „Warum schreibst du nicht mehr“ und ich antworte, „Weil ich es nicht gut kann“, oder „Weil das eh niemand lesen wird“, oder „Weil ich damit kein Geld verdienen kann“, dann wäre ich einerseits falsch gelegen, aber mein kleines, 10-jähriges Ich hätte mich böse angeguckt, anschließend geweint und mich dann für blöd erklärt. Hui, mit der Kleinen sollte ich mich nicht anlegen.

Dem zehn-jährigen Mädchen wäre das stinkegal gewesen, ob die Artikel über Google gefunden werden, wie viele Klicks da drauf sind oder was andere denken. Sie wollte nur Spielen. Und hier beginnt meistens die Leidenschaft: Mit einem Gefühl von Leichtigkeit, Freude und Spiel. 

Ich bin dankbar, dass ich ohne Social Media aufwachsen durfte. Ich weiß, dass ein Handy Tasten haben kann und war damals ganz neidisch auf meinen Bruder, der ein Handy mit Kamera hatte und unseren Hamster damit fotografieren konnte. Aber ein bisschen cool war ich auch. Ich hatte Snake am Handy.

Den Rest kennt ihr ja. Neue IPhones. Neue Apps. Social Media. Boom. Neue Welt. Hallo Digitalisierung.

Doch wir Menschen sind immer noch primitive Gestalten mit einem Gehirn, dass nicht auf die neue Welt abgestimmt ist. Evolution braucht Zeit. Doch die Digitalisierung (und die Wirtschaft) warten nicht. Wir sollen produktiver denn je sein, doch möglicherweise ist es gerade die Digitalisierung, die uns unproduktiv macht.

Es gibt ein wichtiges Hormon, wovon du bestimmt schon einmal gehört hast: Dopamin. Dopamin spielt eine wichtige Rolle in unserem inneren Belohnungssystem. Essen, Sex und der soziale Umgang lassen das Dopamin steigen. Es ist dafür da, um die Aufmerksamkeit auf das zu lenken, was wichtig ist. Was lässt unser Dopamin noch in die Höhe schießen? Richtig, unser liebes Telefon (Ich weiß gar nicht, ob man „Telefon“ heutzutage noch sagt?).

Wenn du etwas Neues lernst, setzt dein Hirn Dopamin frei, um die Aufmerksamkeit zu steigern. Das wiederum hilft uns besser zu lernen. Unser Gehirn liebt Neues. Es gibt Zellen, die nur auf Neues reagieren und Dopamin freisetzen. Wenn du etwas siehst, was du bereits gut kennst, wie z.B. die Straße, wo du wohnst, dann findet jedoch keine Reaktion statt. 

Weißt du, wer sich gut mit diesen Dopamin-Mechanismen auskennt? Klar, Hirnforscher. Und Casinos. Je mehr Leute spielen, desto besser verdienen die Casinos. Logisch. Also macht es Sinn herauszufinden, wie wir Menschen süchtiger nach diesen Spielen werden können. Schließlich ist die Wirtschaft ja wichtiger, als das Wohlbefinden der Menschen. Dafür nehmen sie gern die Spielsucht der Personen in Kauf. Argh..

Und wer lernt brav von den Casinos? Richtig, die App-Entwickler.

Genauer: Instagram und Facebook.

Das wertvollste Gut des 21. Jh. ist aktuell unsere Aufmerksamkeit. Je mehr Aufmerksamkeit wir Social Media Apps wie Instagram geben, desto mehr können sie für Werbeanzeigen verlangen und desto mehr verdienen sie.

Was ist also das Ziel der Social Media Apps? Sie möchten viel von unserer Aufmerkamkeit. Je mehr Zeit wir in der App verbringen, desto besser.

Vielleicht kannst du dich noch an Instagram aus 2012/2013 erinnern: Es war eine simple Foto-App. Wir verwendeten alle diese schrecklichen Filter, doch es war eine coole Foto-App. Mit der Zeit kamen neue Funktionen dazu: Videos, die eine Minute dauern. Stories, die ständig neu sind. IGTV-Videos, die über 10 Minuten dauern. Live-Videos, die eine Stunde dauern können. Fällt dir was auf? Genau, jede neue Funktion erlaubt dir mehr Zeit in der App zu verbringen.

Unsere Aufmerksamkeit ist das Einzige, was wirklich uns gehört. Ab 30 geht’s mit unserem Körper nur noch abwärts (na super). Unsere Besitztümer können uns genommen werden. Geld kann ausgegeben werden. Aber was und wem ich Aufmerkamkeit schenke – das kann ich steuern.

Auch, wenn man es mal verlernt. So wie ich. Corona hat wohl bei vielen den Rhythmus durcheinander gewirbelt und auch, wenn ich am Anfang der Zeit produktiv war, so habe ich mehr und mehr Zeit am Handy verbracht und somit auch auf Instragram. Ich würde jetzt gerne sagen, dass ich total produktiv war (da Instagram ja auch ein Teil meiner Arbeit ist), aber nach dem Aufstehen direkt in die App zu schauen, nur um zu sehen, was es Neues gibt, bringt mir weder eine Freude, noch ist es für meine mentale Gesundheit sinnvoll.

Ich hatte das Gefühl, dass ich nicht mehr wirklich Kontrolle/Verantwortung für meine Zeit übernehme, sondern zu viel Zeit damit verschwendete, um zu schauen, was andere machen. Und so schnell beginnt der Vergleich mit anderen, der nicht unbedingt zu positiven Gedanken führt.

Letztes Jahr habe ich Digital Detox von Cal Newport gelesen. Darin zitiert er unter anderem Bill Maher, einen britischer Moderator und Komiker, der darauf aufmerksam macht, wie süchtig uns Social Media macht. 

„Die Technologie darf nicht mehr neutral gesehen werden. Sie wollen, dass wir es auf eine spezielle Art und Weise nutzen, denn je mehr Zeit wir damit verbringen, desto mehr verdienen sie. Haben wir nicht 1995 etwas ähnliches gehört? Damals hat Jeffrey Wigand bestätigt, dass die großen Tabakkonzerne die Zigaretten so kreieren, dass sie süchtig machen.
Sie wollten nur deine Lungen.
Der App Store will deine Seele.“ – Bill Maher

Heftiges Zitat. Mittlerweile gibt es auch ehemalige Facebookmitarbeiter, die sich öffentlich dazu äußern, dass sie zum einen bereuen, was sie kreiert haben und zum anderen, dass wir Nutzer sehr achtsam mit dem Umgang sein sollen.
Das klingt dramatisch. Und um für noch mehr Dramatik zu sorgen (sorry), folgen noch drei wichtige Punkte zum Thema Social Media, bevor ich dir von meiner persönlichen 30-Tage Instagrampause berichte:

  1. Unser Gehirn liebt „vielleicht.“
    Wir Menschen sind wirklich interessant. Auf der einen Seite lieben wir die Sicherheit und sind totale Kontrollfreaks, aber werden total durch ein „vielleicht“ getriggert. Im Schnitt schauen wir mittlerweile alle 10 Minuten auf unser Handy. Alle. 10. Minuten. Bin ich wirklich so wichtig? Ähm. Ehrlich gesagt, nein. Aber vielleicht hat ja wer was geschrieben. Vielleicht meldet er sich heute. Vielleicht habe ich eine neue Email. Vielleicht gibt’s was Neues bei Instagram. Nur noch eine Runde Poker, vielleicht gewinne ich ja diesmal.  
  2. Wir sind nicht mehr in der Lage ein normales Gespräch zu führen.
    Damit meine ich nicht jüngere Generationen, sondern schockierend genug, uns alle. Hier kommt eine interessante Studie dazu: In einer Untersuchung wurden die Probanden in zwei Gruppen geteilt. Die Personen der ersten Gruppe, legten ihr Handy auf den Tisch und führten anschließend ein Gespräch mit einer fremden Person. Das Gespräch dauerte 10 Minuten und sie durften über alles sprechen, was sie wollten.
    Die zweite Gruppe spricht ebenfalls 10 Minuten mit einer fremden Person. Der Unterschied: Sie hatten einen Notizblock am Tisch, kein Handy.
    Bereit für’s Ergebnis? Die Gruppe, die das Handy am Tisch liegen hatte, fand das Gespräch weniger interessant und fanden die fremde Person weniger empathisch und vertrauenswürdig.
    Es reicht also, dass das Handy nur am Tisch liegt und schon hast du weniger Interesse an deinem Gegenüber. Vielleicht passiert ja was spannenderes in dem kleinen Gerät. Vielleicht sollten wir lieber das Handy in die Tasche packen, wenn wir Leute treffen. Auch aus Respekt.
  3. Warum sind wir so viel auf Instagram und Co.?
    Cal Newport fasst es so zusammen: Zum einen gibt es eine konstante und schnelle Bestätigung. Likes sind die neuen Süßigkeiten und werden mit einem „vielleicht“ aus Punkt 1 kombiniert.
    Es ist ein ständiges Spiel: „Wie viele sind es wohl diesmal? Wer wird kommentieren? Bin ich wichtig?“
    Es entwickelt sich eine Verhaltenssucht durch regelmäßige, positive Bestärkung und dem Verlangen nach sozialer Anerkennung.
    Um das Streben nach Anerkennung noch kurz anzusprechen: Wir sind soziale Wesen und können nicht komplett ignorieren, dass es uns wichtig ist, was andere von uns denken.
    Social Media zeigt dir, wie viele virtuelle „Freunde“ zu hast, wie viele Likes zu erhältst und somit wie sehr deine „Freunde“ an dich denken (oder eben nicht an dich denken). Snapchat hat sogar die Funktion, wie dir zeigt, wie viele „Strikes“ du hast und seit wie vielen Tagen du mit deinen Freunden in Kontakt bist (das klingt stressig, zum Glück habe ich kein Snapchat). Allerdings bedeuten 600 Freunde nicht unbedingt, dass man von mehr glücklicher wird (siehe diesen Beitrag zum Thema Weniger ist mehr dazu). Ein toller TED-Talk zum Thema soziale Kontakte und was uns am Ende unseres Lebens wirklich glücklich macht, findest du hier. (Es sind keine virtuellen, sondern eine Handvoll, wahre Freunde, denen du vertrauen kannst).

Hui, was für ein langer Artikel darüber, wie böse Social Media ist. Wie immer gibt es zwei Seiten. Es gibt Studien, die zeigen, dass sich die Personen einsamer fühlen, je mehr Zeit sie auf Social Media verbringen. Allerdingst gibt es auch Daten, die zeigen, dass Social Media glücklicher machen kann. Hä? Ja, wie so oft in der Wissenschaft muss man hier ganz genau hinschauen. Was wurde denn genau untersucht?

Die Studien, die ein spezifisches Verhalten analysierten, zeigen, dass diese Personen glücklicher sind. Das bedeutet? Social Media ist per se nicht „böse“. Es kommt vor allem darauf an, wie Instagram und Co. genutzt werden, zum Beispiel für den eigentlichen Zweck: um eine digitale, soziale Interaktion zu kreieren.

Ja, die Apps wollen deine Aufmerksamkeit. Das ist weniger cool. Aber wir können entscheiden, wie wir es schlussendlich nutzen.

Genau dieses Wissen hilft uns, uns selbst besser zu verstehen. Wir sind alle nur Menschen. Wir alle wollen uns wichtig fühlen, wollen Kontakte pflegen und Dinge tun, die uns Bedeutung geben und sich gut anfühlen. Hier gilt die Frage: Wie kann ich das im „echten Leben“ auch erreichen?

Dann gibt es noch das Henne-Ei Problem: Wer war zuerst da, die Henne oder das Ei? Nutzen Personen, die schon depressiv sind einfach mehr diese App oder ist diese App wirklich die kausale Ursache? Das ist noch unklar.

Doch eines steht fest: Je mehr Zeit wir mit unserem Handy verbringen, desto weniger Zeit bleibt, um Dinge zu tun, die präventiv unsere mentale und körperliche Gesundheit schützen. Es bleibt weniger Zeit für „echte“ Kontakte, Bewegung und Hobbies. Womit wir wieder beim Anfang sind: Mein 10-jähriges Ich würde mit mir schimpfen, wenn ich ihr erzähle, wie viel Zeit ich am Handy verschwende und mich vergleiche, anstatt die Dinge zu tun, die mir Freude bereiten.

Und damit komme ich zum Punkt: Seit ich das Buch gelesen habe, wollte ich mal eine längere Social Media Pause machen. Leider habe ich es nie eingeplant, aber im Frühjahr kam etwas wichtiges dazwischen: Meine Bewerbung für einen neuen Studiengang inkl. Aufnahmeprüfung(en). Also plante ich für den Juni eine Instagrampause ein, um mich voll und Ganz auf andere Dinge konzentrieren zu können. Und zugegebenermaßen: Um wieder gute Gewohnheiten zu entwickeln, die in der Corona-Zeit ein wenig verschwunden sind.

Am 1. Juni löschte ich dann die App vom Handy, denn es bringt sich bei mir nichts, wenn ich mich nur auslogge. Es ist wie mit den Süßigkeiten: Wenn sie zuhause sind, esse ich sie. Whupsi. Sie müssen also außer Reichweite sein und das Gleiche gilt für die App. 

Der erste Tag ging grandios. Ich ging direkt in den Appstore, habe Instagram heruntergeladen, mich eingeloggt und nach 3 Minuten habe ich es wieder gelöscht. „Das hast du ja super gemacht, du Genie“, dachte ich mir.

Anschließend lief es aber besser. Ich vergleiche es gern mit meiner Zuckerfrei-Challenge am Anfang des Jahres. Es geht gar nicht darum, nie mehr Süßigkeiten zu essen oder nie mehr auf Instagram zu sein, doch mir geht es vor allem darum achtsam wahrzunehmen, wann ich zu den Süßigkeiten bzw. wann ich zu Instgram greife. Habe ich Stress? Lenke ich mich vor einer unangenehmen Aufgabe ab? Schiebe ich etwas vor mich hin?

Ja. Manchmal – anstatt die Sache gleich anzupacken – scrolle ich gerne durch Instagram. Einfach so. Zur Ablenkung. Bis ich vergesse, was ich eigentlich machen wollte und es somit nicht erledige. Schlau.

Doch schon nach einer Woche vermisste ich die App gar nicht mehr. Meinen Tag startete ich nicht mehr damit, durch Instagram zu scrollen, meine Konzentration wurde langsam wieder besser und ich hatte wieder mehr Energie. Alles in allem tat die Pause sehr gut, ich konnte mich auf viele andere Dinge konzentrieren, meine letzten Uni-Prüfungen schreiben und da ich seit 7 Jahren mein Leben in dieser App teile, war es auch ganz angenehm das Gefühl anzutasten, wie es mir geht, wenn ich das mal nicht tue.

Jetzt haben wir den 5. Juli. Ich habe noch nichts gepostet, war nur kurz in den Stories, um mal eben „Hallo“ zu sagen und merke, dass ich nicht mehr dieses starke Verlangen habe, in diese App zu schauen. Die (Instagram-)Welt dreht sich weiter. Auch ohne mich. Natürlich werde ich weiterhin aktiv sein, aber jetzt wieder achtsamer und bewusster. So, dass mein 10-jähriges Ich Freude hat und nicht vernachlässigt wird. 🙂

Also, wie gesagt: Instagram ist per se nicht böse. Die Digitalisierung wird auch nicht verschwinden. Es liegt an uns das Beste daraus zu machen. Es ist okay nicht zu wissen, was gerade passiert oder mal das Handy wegzulegen.

Quellen:

Hunt, M et al (2018), „No more FOMO: limiting social media decreases loneliness and depression.“ Journal of Social and Clinical Psychology, 2018; 751.

Shakya, H et al (2017), „Association of Facebook use with compromised well-being: a longitudinal study.“ American Journal of Epidemiology. DOI: 10.1093/aje/kww189

Nabi, R L et al (2013), „Facebook friends with (health)benefits? Exploring social network site use and preceptions of social support, stress and well-being.“ Cyberpsychol Behav Soc Netw. 2013; 16(10):721-727

Tromholt, M et al (2016), „The Facebook Experiment: quitting FB leads to higher levels of wellbeing.“ Cyberpsychol Behav Soc Netw. 2016 Nov; 19(11): 661–666

Bücher mit weiteren Quellen:
Digitaler Detox, Cal Newport
Skärmhjärnan (schwedisch), Anders Hansen

Artikel zur Unproduktivität